Die Chatroulette-Lesung „ ich stecke gerade in einem dilemma. wir haben unsere lesung ma 25., bis 15. sollte ich postalisch und digital unterlagen eingereicht haben, um bei einem zweijährigen kurs, dramatikerkurs, mitmachen zu können. ich bin gerade am abwiegen. also was ich nun zuerst mache. ich könnte jetzt unsere lesung hintenanstellen und – ich bin schon etwas im verzug – jede freie minute an den einreichunterlagen arbeiten und dann ab dem 16. neun tage in die tasten hauen. oder beides abwechselnd, aber wie du weißt, bin ich nicht so der multitasking-typ… Nachricht Ende Dueller und nicht Multitasking, das ich nicht lache. Diser Mann ist wie Twitter verbunden mit Facebook und dem eigenen blogg in Person. Ein zum Leben erwachtes Iphone mit einem Iphone in der Hand. … also schon, bin es aber nur durch mein iphone. nur durch diese technische erweiterung meinerselbst, kann ich das leisten, was ich leiste, multitaskend. telefonieren und kalender checken und notieren und kurz noch etwas spielen, eigentlich alles gleichzeitig. kurz noch etwas googlen, was mein gehirn nicht mehr gespeichert hat. eines tages wird die technologie soweit sein, dass sich vernetzen tatsächlich heißen kann, dass man selbst vernetzt ist, vierundzwanzig stunden am tag, dann hat man das internet nicht mehr in der hosentasche eingesteckt sondern man selbst ist ins internet eingesteckt. ich glaube, ich wäre einer der ersten, der das machen würde, ich halte das auch für einen durchaus anstrebenswerten gedanken. all die informationsflüsse direkt inhalieren, wie frische luft, die smogwolken würde man in griff bekommen. wer will mein katalysator sein? Aber ich kann ihn verstehen. Ich würde auch so gern so viel mehr usw. Ganz egal wieviel ich schon tue. Aber das haut nicht hin. Das einzige das stetig wächst ist die eigene Abgestumpftheit. Die Sehnsucht nach etwas Größerem nutzt sich nicht ab, aber ich schon. Du willst da irgendwo mitmachen. Ich will auch mitmachen. Aber so einer wie ich, denke ich, wo soll der mitmachen? Ich lass es lieber und geh ins Internet, da kann ich mitmachen, gegen ein geringes Entgelt. (Martin Video Troll) Martin war offenbar auch mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Da hält sich mein schlechtes Gewisse darüber, wieder einmal unproduktiv zu sein natürlich in Grenzen. Ich war, als ich dieses Video bekommen habe gerade voll im Fieber. Also, ich hatte kein echtes Fieber. Echtes Fieber hatte ich schon lange keines mehr. Ich war zum Spieler geworden. Was spielen wir? Big blind, half blind, very blind? Blind auf alle Fälle. Ich will nur noch einmal drehen, zusehen wie die Kugel rollt und rollt bis sie wieder auf irgendeinem Gesicht liegen bleibt. Schwarz gewinnt, weiß gewinnt, Rot gewinnt, Gelb gewinnt. Undendlich viele Farben und unendlich viele Zahlen, da kommt mir eine Zahl nach der anderen entgegen, wie wunderbar. Ich trinke Kaffe, es ist früher Morgen und ich schau mal kurz was auf chatroulette so abgeht. Martin schickt mir hin und wieder ein paar Texte und Videos, ganz schräges Zeug, zum Beispiel: man denkt ja immer, das sei alles fake, hier, berlin, das ganze gehabe, die hipsters, die türken, die albaner, die russen, die amerikaner und die mafia, dass das alles zum selbstbild dieser stadt gehört und damit längst gespielt, eine ständiges performen einer rolle, in immer wieder neuen zonen. kreuzberg, neukölln, mitte – irgendwo ist es immer hip und oft ist es irgendwo auch gefährlich, aber eigentlich geht es hier ständig nur um street credibility. eine street credibility als totale realness. also das ist ein kampf ums überleben auch, ganz deutlich, ob der jetzt mit waffen oder mit kleidung geführt wird – der unterschied ist marginal. Ich sage ihm, er soll auch mal auf chatroulette kommen, wegen der Recherche und um der Überdosis Realität der er offenbar gerade ausgesetzt ist zu entgehen. vor drei tagen habe ich noch gesagt, dass integration und multikulti-zusammenleben so einfach nicht funktioniert, das sind ja hier parallelwelten. doch ich glaube, das ist eine position, die natürlich irgendwo stimmt, aber sobald man einen dieser „spätkaufs“ betritt, fragt man sich: in welcher welt lebt man eigentlich und das erste mal zurecht: „wo sind die deutschen“, denn es sind immer nur iraner oder iraker oder albaner oder türken oder …ja, araber, die hier um spätnachts, immer noch freundlich, sitzen und einem bier verkaufen und süßigkeiten. ich meine: was / wer ist hier faul? wer nimmt hier arbeitsplätze weg? den ganzen scheiß lassen wir doch von den sogenannten ausländern erledigen. in ganz berlin, zumindest nicht soweit ich es miterleben konnte, sitzt kein einziger „richtiger“ deutscher, der um drei uhr noch bier verkauft, freundlich, und es ist ja nicht so, dass man in diese läden reingeht und mit händen und füßen reden muss, sondern da sitzen menschen mit theoretisch undeutschem aussehen, die besser deutsch sprechen als so mancher urberliner oder der bürgerliche italiener um die ecke. eigentlich auch ein ganz lustiges phänomen. also wenn man türken und italiener vergleicht, beide sind ja theoretisch und praktisch ausländer in deutschland. zweitere werden aber nicht als solche wahrgenommen, sind auch nicht so häufig anzutreffen, also springen erstere wiederum in deren rolle und verkaufen an jeder ecke neben kebab auch pizza. ich würde mal behaupten, dass 80% der pizzas, die in restaurants oder bei straßenimbissen gegessen werden mittlerweile türken herstellen. die haben einfach den mangel (an italienern) und das verlangen (nach pizza), also ein missverhältnis von angebot und nachfrage, erkannt und gleichen das aus – und das machen sie gar nicht mal so schlecht.
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